„Wandern und schreiben: Schreibt Ihr während Ihr wandert?“ Das war die häufigste Frage, die ich beantworten musste nachdem ich Kollegen und Freunden von diesem Workshop erzählt habe. Natürlich nicht. Wandern und schreiben funktioniert abwechselnd. Aber ich erzähle am besten von Anfang an:
Wir treffen uns um 14 Uhr im Turmzimmer der Ebernburg mit Sybille und Dorothee. Die beiden haben aus Hobby und Beruf ein neues Angebot gemacht: Wandern und Schreiben heißt es und versammelt heute 12 Teilnehmerinnen aus dem Texttreff im Turm der Ebernburg. Erste Höhenprüfung für Wander-Muffel: Gefühlte 120 Treppenstufen geht es hinauf bis in den Seminarraum. Als Belohnung wartet ein traumhaft schöner Ausblick über die hügelige Umgebung der Ebernburg. Das macht bereits Lust auf die anstehende Wanderung. Die kurze Vorstellung zeigt: Alle Mitwanderinnen haben eine Beziehung zum Wandern, aber nicht immer eine leidenschaftlich positive. Wander-Muffel, Wander-Geschädigte, Wander-Begeisterte, Wander-Lustige und Eher-nicht-Wanderer treffen zusammen und haben eins gemeinsam haben: Sie schreiben – gut und gern, beruflich nämlich.
Dorothee und Sybille erklären den Ablauf und geben wenige Regeln für das gemeinsame Wandern und Schreiben vor. Mir gefällt am besten: Jeder kann und niemand muss vorlesen, was er geschrieben hat. Sehr gut. Diese Spielregel befreit mich schon einmal vom hin und her im Kopf: „Oje, soll ich? Oder müsste ich sogar? Kann man das überhaupt vorlesen? Was denken die bloß?“ Wunderbar. Es kann losgehen.
Schreibimpuls als Startschuss
Den ersten Schreibimpuls gibt es noch im Turmzimmer. Er geht inspiriert und locker von der Hand und dann gehen wir los. Runter vom Turm, runter von der Burg und rein in den Wald. Der Weg ist angenehm schattig, die Stimmung schnatterig und inspiriert. Als die Gruppe sich auseinander zieht sammeln Dorothee und Sybille sie rasch wieder ein und sortieren die Wanderer neu. Mit den langsamen Fußgängern an der Spitze bleiben wir zusammen und erreichen nach einem schönen Aufstieg unser erstes Zwischenziel.
Dort suchen wir uns einen Platz und bekommen mit Erich Kästners „Die Wälder schweigen“ den nächsten Schreibimpuls. Wir sollen einen Monolog oder einen Dialog schreiben. Ich schreibe los und bin überrascht, wie leicht es geht. Zeile für Zeile reihe ich meine Eindrücke hintereinander und bin einigermassen erstaunt, dass ich immer wieder in Reime verfalle. Als zwei Seiten voll sind, wechsle ich vom Monolog zum Dialog und schreibe noch ein kurzes Gespräch zwischen Mann und Frau (die sich einfach nicht verstehen …). Dann sind alle fertig und wir treffen uns zum Reflektieren und Vorlesen. Ganz ergreifende und ernsthafte, aber auch lustige und poetische Texte sind herausgekommen. Meiner geht so:
Raus aus der Welt schneller Worte und Schritte,
suche ich Wege der Ruhe und finde eine Mitte.
Ich gehe und schaue und schaue und gehe
und finde immer mehr, je weniger ich sehe.
So weit ist der Weg, die Bäume und Blicke
so leicht die Gedanken zu lassen wohin sie gehen.
Ich schreite bergauf, genieße jeden Schritt,
gewinne an Höhe und lasse den Blick …
… schweifen über Häuser und Täler, ich komme voran,
ganz ohne Ziel – das ist das Beste daran.
Der Weg ist nicht grade, er steigt und er fällt
nimmt Kurven und Engen wie das Leben, die Welt.
Und auch wenn ein Ziel fehlt, so geht es ganz leicht,
es kommt Neues, geht Altes, bleibt Vertrautes, Fremdes weicht.
Durch Wiesen und Felder, im Wald, auf der Höhe,
gewundene Wege führen hinauf in große Höh.
Ganz oben, Ihr Beine, der Weg war wohl weit,
geschafft sind die Mühen, das Ziel ist erreicht.
Wortlos wandern, aber wortreich schreiben
Dann geht es weiter durch den Wald bis wir nach einem Auf und Ab an einer halb verfallenen Burg ankommen. Dort gibt es eine weitere Aufgabe: Wandern, Schweigen und Schreiben. Wir sollen, die Eindrücke, die uns auf dem nächsten Stück weg begegnen aufschreiben und uns dieses Stück nicht von Gesprächen ablenken lassen. – Dieses verordnete Schweigen und Konzentrieren auf die Welt um uns herum ist sehr wohltuend. Ich gehe rhythmisch bergab und genieße das schöne Wetter und die angenehme Ruhe. Hier und dort überhole ich eine Kollegin oder werde wieder eingeholt. Wir laufen langsam vor uns hin – jede sammelt ganz unterschiedliche Fundstücke und schreibt sie für sich auf. Kurz vor dem Aufstieg zurück zur Ebernburg endet unsere Schreibübung und wir steigen wieder auf.
Zurück im Turmzimmer gibt es eine letzte kleine Aufgabe: Aus unseren Fundstücken, die wir auf unserem schweigenden Spaziergang gesammelt haben, sollen wir Elfchen machen. Elfchen sind super! Die mag ich seit unsere Tochter sie in der Grundschule entdeckt und geliebt hat. Also lege ich los und es läuft wie am Schnürchen:
Gras
zart hüfthoch
unbefangen in Kindertagen
kein Allergen wie heute
Hatschi!
Wiese
zum Himmel
schauen Wolken zählen
ohne Zeit und Ort
jetzt.
Experiment gelungen, Nachahmung empfohlen
Wandern und schreiben war für mich ein Experiment. Mitgenommen habe ich die tolle Erfahrung, dass eine grüne Umgebung und ein wenig Bewegung unglaublich inspirierend sind und ganz neue Ideen auf’s Papier zaubern. Ich werde sicher wieder draußen schreiben, besonders wenn das Schreiben anstrengend wird und die Ideen ausgehen.
Sybille Mühlke und Dorothee Köhler haben diese fabelhafte Kombination schon lange entdeckt und daraus ein Angebot für alle Fans des kreativen Schreibens gemacht. Auf der Website Wandern und Schreiben finden alle Interessenten Inspirationen und Angebote, wenn ihnen auch einmal nach dieser kongenialen Kombination ist oder sie einfach etwas Neues ausprobieren wollen, das die Tinte fließen lässt ;).